Schauspielhaus Zürich - Blog
HAMMERTHEATER
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Wo es auch wieder sehr schön war, war Prag.
Dušan David Pařízek – er macht in dieser Saison bei uns „Käthchen von Heilbronn“ – inszenierte „Publikumsbeschimpfung“ an dem von ihm geleiteten Prager Kammertheater bzw. Divadlo Komedie, einem der aufregendsten mitteleuropäischen Theater in dieser Grössenordnung. Das Stück von Peter Handke war damit zum ersten Mal auf Tschechisch zu sehen, obwohl es schon seit den 60er-Jahren übersetzt vorliegt, aber eben nur als Lesestück.
Nun ist mein tschechisch nicht besonders oder genauer gesagt nicht existent, trotzdem war deutlich zu verstehen, dass sich die Schauspieler mit einer Beschimpfung des Publikums nicht zufrieden gaben. Die vier Theater-Beatniks, die Handke 1966 vorgeschwebt waren, gehen hier auf in vier sensiblen Individuen, darunter auch die wunderbare Gabriela Mičova, die in keiner Pařízek-Inszenierung fehlen darf. Die psychosozialen Konflikte innerhalb einer (Theater-)Gruppe spielen eine Rolle und weil es das Kammertheater nun schon seit 2002 gibt und aufgrund politischer Querelen wohl nur noch bis 2012 in dieser Form geben wird, geriet der Abend zunehmend zu einer Selbstbefragung und Existenzschlacht. Meine Lieblingsszene ereignete sich beim Applaus: Nachdem sich die Schauspieler ein paar Mal verbeugt hatten, räumten sie ein in den Zuschauerraum ragendes Gestell nach hinten, wie man das so macht, wenn Stolpergefahr besteht. Sie gingen ab und kamen wieder, der erste mit Kettensäge, der zweite mit einer Axt, der dritte mit einem Hammer und Gabi brachte eine Kiste Bier und Würste. Die Darsteller zerlegten das Gestell, signierten die Holztrümmer mit „Divadlo Komedie 2002–2012“, verschenkten diese und gaben uns zu trinken. Immer wenn der Applaus zu verebben drohte, kam ein Schauspieler nach vorne und spornte das Publikum mit Jubelgesten an, weiter zu machen, was erstaunlich lange klappte. In diesem Moment waren sie übrigens wieder ganz bei Handke, der das 1966 genauso gemacht hatte, in der vom Fernsehen aufgezeichneten zweiten Vorstellung der Uraufführung, nachzusehen in einer schönen Sonderausgabe.
Das Ganze war auch insofern sehr komisch, als diese Inszenierung eine Saison mit österreichischer Dramatik einläutet – ich war sozusagen auch als Repräsentant meiner anstrengenden Heimat eingeladen – und Kamila Polívková, ihres Zeichens Kostümbildnerin und Grafikerin des Theaters, als Saisonmotiv den österreichischen Wappenadler gewählt hat. Dieses Tier hat in der einen Kralle eine Sichel und in der anderen einen Hammer („Land der Hämmer“, heisst es in unserer Hymne), während die Kette an den Füssen gesprengt ist. Jedes neue Aufführungsplakat hebt ein anderes Detail hervor, diesmal ist es der Hammer. Mit diesem Hammer wurde quasi auf das Bühnenbild eingeschlagen, bis zu meinem finalen Vergnügen eine der Schliesserinnen die Bühne betrat und versuchte, Blumen loszuwerden. In der theaterverrückten Stadt Prag ist es nämlich üblich, dass jeder, der Schauspielern Blumen schenken will, ihnen diese nicht zuwirft, wie das zum Beispiel in Wien noch gang und gäbe ist, sondern sie vor der Vorstellung beim Abendpersonal abgibt. Beim Applaus gehen die Schliesserinnen dann auf die Bühne und übergeben die Blumen an die Schauspieler, wobei die Überbringerin diesmal höllisch aufpassen musste, nicht von einem Hammer getroffen zu werden. Theater der Hämmer, Hammertheater.
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Roland Koberg, Schauspielhaus Zürich - Blog, 14. September 2010
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