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Berliner Morgenpost

DIE LEBENSLÜGE VON GOEBBELS' GELIEBTER LIDA BAAROVÁ

 
Vielleicht wäre einiges anders gekommen, wenn Joseph Goebbels 1938 als deutscher Botschafter nach Japan gegangen wäre. Damals, in dem mit dem "Anschluss" Österreichs, dem Münchener Abkommen und der Pogromnacht entscheidenden Jahr, drohte die Ehe des Reichspropagandaministers an dessen Affäre mit einer Tschechin zu scheitern.

Lida Baarová, 1914 in einer bürgerlichen Prager Familie geboren, wurde 1934 von der Ufa engagiert, die sie in verschiedenen Filmen auf die Rolle des exotischen Vamp festlegte. In Berlin, wo sie auch am Deutschen Theater und an der Volksbühne spielte, lebte sie zunächst mit dem Schauspieler Gustav Fröhlich zusammen. Irgendwann traf sie auf Goebbels, mit dem sich eine heftige Liaison entwickelte. Offenbar eine ernste Angelegenheit, spielte Goebbels doch tatsächlich mit dem Gedanken, sich für seine „Liduschka“ von Ehefrau Magda scheiden und auf den Tokioter Außenposten abschieben zu lassen. Doch daraus wurde nichts, angeblich, weil Gattin Magda Hitler zu einem Machtwort gegen den deutsch-tschechischen Liebessturm veranlasste. Schließlich galt es, eine arische „Musterehe“ zu retten. Die Muse mit dem hörbar slawischen Akzent passte da nicht ins Programm.

Die Geschichten über den fernöstlichen Botschafterjob und Hitlers Machtwort gehören genauso zu den habseidenen Anekdoten aus dem inneren Machtzirkel des „Dritten Reiches“ wie die Behauptung Gustav Fröhlichs, er hätte seinen Widersacher aus dem Regierungskabinett wegen dessen Zuneigung zu seiner Maitresse geohrfeigt. Klatsch und Tratsch, wahr wie unwahr, aus dem Leben der NS-Größen sind, spätestens seit dem Berlinale-Publikumspreis für André Hellers Interviewfilm „Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin! (2002) und Oliver Hirschbiegels menschelndem Kinoepos „Der Untergang“ (2004), salonfähig geworden. Nun also ein Theaterstück über Goebbels’ wichtigsten Seitensprung mit einer attraktiven Dame, für die wohl auch der „Führer“ selbst Interesse zeigte: „Sie erinnern mich an ein Mädchen, das ich in jungen Jahren sehr geliebt habe“, soll der ihr einmal gestanden haben.

Keine weitere Nazi-Soap
Dušan Parizek, der für die Inszenierung im historischen Theater Divadlo verantwortlich zeichnet, liegt jedoch nichts ferner als eine weitere Nazi-Soap. Mit der Bearbeitung des Originalstücks von Oliver Reese, der 2006 an den Kammerspielen des Deutschen Theaters die GoebbelsTagebücher zu einem verstörenden Psychogramm kondensiert hat, geht es ihm um die schwarzen Löcher in der tschechischen Vergangenheitsbetrachtung. Schließlich hat die Baarová, die nach dem verordneten Ende der Goebbels-Affäre in Deutschland Auftrittsverbot bekam, ihre Karriere erfolgreich im „Protektorat Böhmen und Mähren“ und später in Italien, unter anderem in Fellinis „Die Müßiggänger“, fortsetzen können. In dem deutschen Besatzungsgebiet hat sie, so wird kolportiert, durch ihre guten Beziehungen zu den NS-Honoratioren das materielle Überleben einiger tschechischer Filmschaffender sicherstellen und minimale künstlerische Bewegungsspielräume erwirken können.

Ein durchaus symptomatisches Durchwursteln, das heute hinter den Legenden von Besatzung und Widerstandskämpfen verschwindet.. Die Baarová frisierte ihre Biographie bis in die 80er-Jahre, als sie in einem Interview mit dem Publizisten Joseph Škvorecký erstmals ihre Beziehung zu Goebbels eingestanden hat, die schon längst öffentlich bekannt war und der Schauspielerin Negativ-Symbolcharakter als Nazi-Flittchen einbrachte - nicht zuletzt auf Betreiben des Regisseurs Otokar Vávra, der sie noch 1939 in seinem „Turbina“ besetzte und zwei Jahre später populistisch als „Goebbels-Geliebte“ verdammte.

Das Leben in der Lüge
Vávra gehört zu jenen, die Parizek zu den „Aufsteigern“ zählt, „die sich nach ‚48 unter gewendeten Vorzeichen Jahrzehnte in ihren Positionen halten konnten“. Der Filmemacher war noch in den letzten Monaten des „Protektorats“ mit einer eskapistischen Komödie beschäftigt, 1945 drehte er dann seinen ersten Anti-Nazi-Film. Ein kurviger Gang auf die Karriereleiter: Der talentierte und künstlerisch einflussreiche Filmemacher gehörte zu den Gründungsvätern der FAMU, weit über die Hälfte seiner insgesamt 53 Filme entstanden nach Kriegsende, der letzte im Jahr 2003.

Mit „Goebbels / Baarová“ erklärt Parizek „das Leben in der Lüge zur tschechischen Fragestellung“. So, wie die Baarová es 40 Jahre geschafft hat, ihre NS-Vergangenheit vor sich und anderen zu verschweigen, so habe auch die tschechische Gesellschaft es „verlernt, mit dem ethischen Erbe umzugehen“. Die mit dem Machtantritt der Kommunisten im Jahre 1948 erfolgte Deklaration zum antifaschistischen Staat steht, ähnlich wie in anderen sozialistischen Ländern, einer tiefgehenden Vergangenheitsbewältigung bis heute im Weg. Wenn man die „politische Vorzeichendebatte ausklammert“, wird sogar analytisches Potenzial für die Wendehalsdiskurse während der „Samtenen Revolution“ erkennbar und individuelle Lebenslügen konstruiert.

Kein Wunder, dass das Stück nach der Prager Premiere im September 2009 für wutentbrannte Reaktionen sorgte. Parizek ist froh über den Diskussionsstoff, den er freigelegt hat - bis zum Ende der Spielzeit waren sämtliche Vorstellungen ausverkauft. Vorwürfe, dass er einer Sensationsgier des Publikums entgegenkommen würde, gab es indes nicht: „Was an Boulevardpotential in dem Stück drinsteckt, wird durch die abstrakte Versuchsanordnung außen vor gelassen.“ Parizek spricht eher von einer zweiteiligen monologischen „Vivisektion“, die „mikroskopisch“ zunächst Ideologie und dann die individuelle Lebenslüge seziere.
 
Von Bernd Buder, Berliner Morgenpost, 9. Juni 2010

 
 

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